Besuch einer Zeitzeugin des Dritten Reiches und 2. Weltkriegs

Veröffentlicht in Berichte 2015/16

grimm raabeAm 28. 1.2016 stattete eine deutsche Zeitzeugin namens Frau Grimm den Klassen 9 a und b einen Besuch ab. Die SchülerInnen durften Fragen stellen, um den Horizont, was die Atmosphäre im 3. Reich betrifft, zu erweitern.
Barbara Grimm-Raabe wurde 1925 in Kassel geboren. Ihre Familie bestand aus ihren Eltern, mit denen sie ein eher unpersönliches Verhältnis pflegte, was ihrer Ansicht nach an der Zeit lag, in der sie aufwuchs, und ihrem 10 Jahre älteren Bruder. Sie sagt, dass Kinder damals viel weniger in Entscheidungen und „Erwachsenengespräche“ mit einbezogen wurde, darum bekam sie von der Zeit des 3. Reiches politisch nicht viel mit. Man war damals auch viel kindlicher. Ihre Mutter starb, als Frau Grimm 13 war, und ihr Vater war geschäftlich sehr viel unterwegs. Darum war der Draht zu ihrem Bruder immer sehr gut, er übernahm in gewisser Weise die Vaterrolle und kümmerte sich um sie.
Abgesehen von dem weniger guten Verhältnis zu ihren Eltern hatte Frau Grimm eine sehr unbeschwerte Kindheit, aus heutiger Sicht für sie gar „zu“ unbeschwert, weil um sie herum so viele schreckliche Dinge passierten, von denen sie gar nichts mitbekam. Doch nicht nur Kinder hatten in ihrer Erinnerung nicht viel mit Politik zu tun. Auch viele Erwachsene interessierten sich nicht dafür. Aus Desinteresse trat Frau Grimms Vater nie in die NSDAP ein, aber ihr Onkel war ein Mitglied, bis er „Mein Kampf“ las; er erkannte Hitlers Pläne schon früh. Zuhause wurde in vielen Haushalten nicht darüber gesprochen. Außer, dass die Mutter die Judenverfolgung kritisierte, da sie als gläubige Christin wusste, das Jesus auch jüdisch war, fiel kaum ein Wort über die Politik im Grimm-Raabe Haushalt. Frau Grimms Vermutung lautet, dass es wahrscheinlich gar nicht erst zu Hitlers Macht gekommen wäre, wenn Kinder wie heute wären, nämlich kritischer und interessierter an Politik.
Frau Grimm war 8 Jahre alt, als sich Veränderungen einschlichen, die kaum wahrgenommen wurden. Die Bürger waren begeistert von Hitlers Politik, weil sie Deutschen mehr Arbeitsplätze verschaffte. Zu der Zeit wurden Jugendorganisationen wie der „Bund deutscher Mädel“ wichtig. Frau Grimms Eintritt war der letzte aus der Klasse und zudem auch nicht ganz freiwillig. Ihre Haltung war eher gleichgültig, bis ihre Musiklehrerin sie vor die Wahl stellte: „BDM“ oder keine 1 in Musik. Da trat sie ein, in die manipulative Organisation. Die Teilnahme am „BDM“ machte Frau Grimms Berichten zufolge Spaß. Man fühlte sich ernst genommen, konnte mit 16 Verantwortung als „Gruppenführerin“ übernehmen. Es war schön, etwas zu sagen zu haben, was man zuhause nicht hatte. Aber auch als normales Mitglied konnte man sich bei zahlreichen Freizeitaktivitäten amüsieren. Jeden Mittwoch traf man sich, um zu basteln oder zu singen. Auch hier war von politischer Beeinflussung wenig zu spüren. Das einzig erkennbar Politische war, wenn die „Führerin“ fragte, wer ihr „großer Führer“ ist und wie alt er sei. Darauf wurde brav geantwortet und das war es auch schon. Die anderen Mädchen waren gute Kameradinnen, fast wie Schwestern und alle trugen dieselbe Kluft: einen dunkelblauen Rock mit weißer Bluse, ein schwarzes Halstuch mit Lederknoten, eine braune Kunstlederjacke und den Hakenkreuzanstecker. Die Kluft wurde bei größeren Anlässen, meist aber auch bei gewöhnlichen Treffen getragen. Wenn man sie dort jedoch vergaß, war das auch nicht weiter schlimm, es wurde dort wohl alles nicht so eng und formell gesehen. Zudem bot die Hitlerjugend auch Sport wie beispielsweise Leichtathletik an. Man konnte leicht Abzeichen erlangen, was einen stolz machte. Und motivierte.
Nach und nach begann der Krieg. Anfangs merkte man ihn gar nicht, da Hitler sehr raffiniert nur kleine Schritte machte. Der Kriegserfolg gegen Frankreich berauschte die Bürger. Für Frau Grimm wurde es erst schlechter, als das Essensgeld gegen minderwertige Essensmarken eingetauscht wurde, die immer wieder an Wert verloren und sie mit 15 Jahren die Schule abbrechen musste, weg von ihrem Bruder, welcher Soldat werden musste, um ein Pflichtjahr in Berlin bei einer Familie zu machen. Man kann sich das wie ein Au-Pair Jahr vorstellen, sie musste dort den Haushalt machen – dies sollte die Mädchen darauf vorbereiten, als verheiratete Hausfrau ohne Abitur zuhause zu arbeiten. Es war Hitlers Vorstellung der Rolle der guten Frau und Mutter. Was den Antisemitismus betraf, sah man in Schaukästen Plakate und Magazine gegen die Juden, doch Frau Grimm hatte keinerlei jüdische Kontakte, weshalb sie sie nicht groß beachtete. Über die Transportaktionen der Juden war ihr nichts bekannt, sie erfuhr erst nach dem Krieg davon und war sehr geschockt davon. Zunächst wollte sie all das nicht glauben. Doch während des Krieges war sie unwissend: Es gab keine Erklärung für die verbrannte Synagoge oder das Verschwinden des Juden in der Nachbarschaft. Zu Endzeiten des Krieges, in denen Frau Grimm als Krankenschwester tätig war, wurde jedoch auch die Situation des Deutschen immer schlimmer. Die Alliierten wurden als schreckliche Feinde dargestellt. Nachdem man von den Angriffen aus Berlin mitbekam, hoffte jeder, nicht auch bombardiert zu werden, doch zu Angriffen in ganz Deutschland kam es trotzdem: Sie und ihr Bruder mussten öfter mal in den Keller flüchten. Die Angriffe machten ihr große Angst, doch bei ihrem Bruder war sie in guten Händen. Er sorgte dafür, dass sie ihr Wunschstudium Medizin beginnen konnte, was sie dann jedoch doch nicht begeisterte, und sie deshalb auf Musik umstieg.
Heute ist Frau Grimm mit einem Lehrerexamen für das Klavierspielen ausstaffiert, unterrichtet an der Volkshochschule und hat einen Sohn. Sie hat sich bemüht, in der Erziehung das, was sie an ihren Eltern gestört hat, besser zu machen. Heute ist er in ihren Augen nett, freundlich und ehrlich. Barbara Grimm ist der Ansicht, dass Kinder unter absolutem Gehorsam keine eigene Persönlichkeit entwickeln können.
Zu der jetzigen Flüchtlingssituation sagt Barbara Grimm, dass sie jederzeit für eine Flüchtlingssteuer bereit wäre, da sie es furchtbar findet, wie einige Flüchtlinge behandelt werden. Sie selbst würde auch einen Flüchtling aufnehmen, wenn sie jünger wäre. Im Krieg früher war sie zu jung, um beispielsweise Juden aufzunehmen, was sie sehr bedauert.
Der Krieg und die unbewusst erlebte nationalsozialistische Zeit hat Frau Grimm zudem geprägt, in ihrem Erscheinen und ihren Meinungen. Sie sieht ungerne Uniformen (z.B. vom Bahnschaffner), da sie das mit der Kriegszeit verbindet. Sie wählt jetzt „die Linke“, da es ihrer Ansicht nach vielleicht zu einem weiteren Krieg kommen könnte und diese Partei gegen Militäreinsätze ist.
grimm raabe2Doch im Allgemeinen hält Frau Grimm das Wählen für sehr wichtig, was immer man auch wählt. Generell interessiert sich die nun 91-Jährige nun viel mehr für Politik und äußert sich offen zu den verschiedensten Themen: Ihr gefällt es nicht, das Deutschland noch immer so wichtig in der Welt ist, findet die Veröffentlichung von „Mein Kampf“ gefährlich. Sie findet, man sollte mit dem IS reden und dass die Verteilung von Flüchtlingsgeldern und Hartz 4 ungerecht sei. Wir alle freuen uns über den Besuch von Barbara Grimm-Raabe und ihre Offenheit und wünschen ihr noch alles Gute in ihrem Leben.
 
Bericht von Anne R. und Emily M.
 
Inzwischen ist Frau Grimm-Raabe verstorben – ich danke ihr für die Offenheit, die sie immer wieder zu Gesprächen mit Klassen unserer Schule bereit zeigte.

Claudia Hallermann

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