Zwi Nigal – Heinz Hermann Engel

Enthuellung 2Bericht eines Zeitzeugen

Der Raum E39 im Erdgeschoss unserer Schule ist gut gefüllt. Zwei Klassen, 9a und 9b, sitzen auf den schwarzen Plastikstühlen und schauen neugierig nach vorne.

An einer Tischreihe vor einer Leinwand sitzt ein älterer Herr, graumeliertes Haar und faltige, etwas zittrige Hände. Seiner gebräunten Haut sieht man an, dass er wohl nicht die ganze Zeit seines Lebens in unseren Breiten verbrachte. Doch was man nicht sieht, ist sein Alter: Herr Nigal wird dieses Jahr 93.

 

Er reiste aus Israel an, um unserer Klasse über sein Leben zu erzählen, ein Leben als Jude in Wien zur Zeit der Nazis. Er wuchs dort als Einzelkind auf und verlebte zuerst eine unbeschwerte Kindheit. Nach den vier Jahren auf der Volksschule wählte er die humanistische Mittelschule als weitere Schullaufbahn und lag dort notentechnisch immer im oberen Mittelfeld. In seiner Schule gingen Juden und Nichtjuden ganz normal in eine Klasse, wobei Hr. Nigal (damals noch Hermann Engel) nicht vergaß zu erwähnen, dass sein Freundeskreis trotzdem nur aus Juden bestand. 

Er hat eine unbeschwerte Art zu erzählen. Ab und zu baut er eine Anekdote oder einen kleinen Witz ein. Seine Erzählungen sind lebhaft, man kann ihm gut folgen und er scheint keinerlei Hemmungen zu haben, den Jugendlichen auch über die unschönen Abschnitte seines Lebens zu berichten.

Alles fing damit an, dass Österreich mehr oder weniger freiwillig an das Deutsche Reich angeschlossen wurde. Zu dieser Zeit war Hermann etwa 14 Jahre alt. Zwar konnte er vorübergehend in der Schule bleiben Heinz Engel 19350001und auch im Wohnhaus der Familie, welches sie sich mit mehreren anderen Familien verschiedener Religionen teilten, änderte sich nichts im gegenseitigen Umgang, doch auf der Straße bekam man den Antisemitismus plötzlich sehr zu spüren und nach 2 Monaten erfuhr Hermann auf einmal, dass ihm der weitere Schulbesuch nach Ende der 9. Klasse verwehrt sei. Juden wurden außerdem häufig für entwürdigende Arbeiten, wie Straßenputzen, eingesetzt und waren dadurch den höhnischen Bemerkungen der Nazis ausgesetzt.

Auch wurden Juden einfach von der Straße „aufgesammelt“ und mit Lastwagen ins Ungewisse deportiert. Hermann war diesem Schicksal an einem Tag nur knapp entronnen, indem er sich in einem Lesesaal der Nazi-Parteistelle hinter dem Völkischen Beobachter versteckte. Immer wieder betont Herr Nigal, dass es sich bei seinem Überleben schlicht um pures Glück gehandelt hatte. Doch schließlich kam der Tag an dem es zu viel wurde, die Familie wurde aus ihrer Wohnung zwangsausgesiedelt und Hermanns Vater, der sich schon länger um die illegale Auswanderung von Juden nach Palästina kümmerte, schickte Hermann zusammen mit ca. 60 anderen Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren, umgehend ins heutige Israel. Kurz danach schickte er auch die Mutter hinterher, ebenfalls per Schiff, doch ihre Reise verlief nicht ganz so störungsfrei wie die von Hermann. Das Schiff, mit dem sie fuhr, wurde von der englischen Flotte abgefangen und alle Insassen nach Mauritius gebracht und dort „gefangen gehalten“. Im Großen und Ganzen war es aber eher ein Zwischenhalt für die Juden, die am Ende des 2. Weltkriegs von den Engländern schließlich doch nach Palästina gebracht wurden. Dort trafen Mutter und Sohn nach sieben Jahren Trennung endlich wieder zusammen. Nur der Vater hatte es nicht geschafft aus Wien zu entkommen und war, wie Herr Nigal später herausfand, in Auschwitz umgekommen.

Doch was hatte Hermann in den sieben Jahren alleine in Palästina gemacht?

ZwiUntätig gewesen war er keineswegs. Bei der Ankunft der jüdischen Jugendlichen wurde jeder von ihnen einer Familie in einem palästinensischem Dorf zugeteilt, bei der sie Hebräisch und Landwirtschaft erlernen und sich integrieren sollten, so dass sie dann nach zwei Jahren auf eigenen Füßen würden stehen können. Hermann, der seinen deutschen Nachnamen Engel in das weniger deutsche Wort „Nigal“ geändert hatte und sich ausschließlich bei seinem Synagogen-Rufnamen „Zwi“ nennen ließ, hat nur gute Erinnerungen an seine Pflegefamilie: Er habe sich „wie ein echter Sohn gefühlt“.

Zwi lernte Morse und schloss sich nach dem Ende der zwei Integrations-Jahre der Armee an. Einerseits, um, zusammen mit vielen anderen Juden, endlich gegen die Deutschen vorgehen zu können, vor allem aber, um seine verpasste Schulzeit und schließlich auch das Abitur nachholen zu können. Er war viele Jahre Soldat und kam während seiner Einsätze oft zurück nach Europa. Zur gleichen Zeit war seine Mutter nach Palästina gebracht worden und Zwi bekam einige Monate Ferien um sie wiederzusehen. Bei seiner weiteren Karriere als Soldat und schließlich Bataillonsführer, blieb ihm eine Sache besonders in Erinnerung:

Es war der Tag an dem die Jüdische Brigade nach Kriegsende die Konzentrationslager erreichte, um die dort gefangenen Juden zu befreien. Im Gegensatz zum kläglichen Anblick der sich ihnen bot, wurden Zwi und seine Kameraden wie Engel empfangen, die – obwohl Juden - wohlgenährt und stolz mit dem freiwillig getragenen Davidstern zur Rettung der Insassen von Bergen Belsen erschienen waren.

Er und seine Mitstreiter halfen noch viel bei der illegalen Entsendung der am Leben gebliebenen Juden nach Palästina, bis Zwis Wehrdienst dann zu Ende war.

Von da an lebte er in Palästina, zusammen mit seiner Mutter, die 102 Jahre alt wurde, und gründete bald eine eigene Familie. Mittlerweile hat er mehrere Söhne, sieben Enkel und zwei Urenkel und Zwi nennt das stolz:

„Seinen ganz persönlichen Sieg über Hitler!“

Text von Eva Mair, 9b; 19.01.16

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